Ist Stress für den Hund ansteckend?
Was die Forschung dazu sagt
Emotionale Ansteckung (die Spiegelung von emotionalen oder Erregungszuständen zwischen Individuen) wird häufig bei in Gruppen lebenden Arten beobachtet, da sie meistens gemeinsamen Stressoren ausgesetzt sind, die verschiedene Individuen in ähnlicher Weise betreffen können.
Es wurde schon immer vermutet, dass Stress zwischen Individuen derselben Arten hoch ansteckend ist. Bewiesen wurde beispielsweise bereits, dass Schüler hohe Cortisolspiegel aufweisen, wenn deren Lehrer ein hohes Stresslevel hat; außerdem zeigen Präriewühlmäuse ein korrelierendes Stresslevel mit ihrem Partner, der zuvor einem Stressfaktor ausgesetzt war.
Hunde und Menschen haben eine einzigartige Beziehung, da sie seit mindestens 15.000 Jahren in enger Gemeinschaft leben. Heutzutage leben die meisten Hunde als Begleittiere und teilen sowohl die Umwelt als auch das Alltagsleben mit ihren menschlichen Besitzern. So ist auch eine Ansteckung von Stress zwischen diesen Arten möglich. Beweise dafür leisteten einige kognitive Tests der Leistungsfähigkeit. Außerdem wurde gezeigt, dass kurzfristige Cortisolreaktionen innerhalb des Hund-Mensch-Teams während der Ausübung von Hundesport zusammenhängen.
Die Tatsache, dass kurzfristiger Stress zwischen Hund und Besitzer ansteckend wirkt, führte zu der Frage, ob es bei langfristigem, chronischem Stress ähnlich verhält.
Um die interspezifische Ansteckungsgefahr von Langzeit-Stresslevel von Hunden und ihren Besitzern zu untersuchen, analysierten schwedische Forscher die Cortisolkonzentration im Haar (HCC) von 58 Hund-Mensch-Teams. Die Hunde gehörten zwei verschiedenen Rassen an (Shetland Sheepdog N = 33 und Border Collie N = 25).
Dabei fanden sie eine interspezifische langfristige Stresshormonsynchronisation, d. h., dass die Stresshormon-Levels sich zeitlich koordinierten, und zwar bei allen Teilnehmern.
Die Synchronität wurde durch Geschlecht und Lebensstil beeinflusst:
Das HCC von Rüden und Hündinnen war mit dem HCC des Besitzers synchronisiert, aber der Zusammenhang war bei Hündinnen stärker. Außerdem zeigten Hündinnen im Allgemeinen eine höhere Cortisolkonzentration als Rüden. Tatsächlich haben Studien an anderen Arten zuvor darauf hingewiesen, dass Weibchen im Vergleich zu Männchen eine höhere emotionale Reaktionsfähigkeit zeigen. Eine Oxytocin-Verabreichung hat eine ausgeprägte Wirkung auf die Interaktion von Hündinnen mit ihren Besitzern und bewirkt zusätzlich eine Erhöhung der Oxytocin-Konzentration des Besitzers. Bei Rüden zeigt sich keine ähnliche Wirkung.
Hund-Mensch-Teams, die regelmäßig zusammen Sport (z. B. Aglity) treiben, verbringen mehr Zeit miteinander, weshalb bei ihnen vermutlich auch eine stärkere Assoziation in der Cortisol-Synchronisation beobachtet wurde.
Der HCC-Level konnte aber mit der körperlichen Aktivität der Hunde nicht in Verbindung gebracht werden.
Die Forscher fanden jedoch andere Faktoren, die das HCC-Level bei Hunden signifikant beeinflussten, nämlich die Persönlichkeitsmerkmale der Hundehalter:
Besitzer, die bei Neurotizismus eine hohe Punktzahl erzielten, hatten eher Hunde mit niedrigem HCC-Level. Es gibt Hinweise darauf, dass Menschen mit hohen Neurotizismus-Werten eine starke Bindung zu ihren Hunden haben und dass diese Personen ihren Hund als sozialen Unterstützer betrachten und gleichzeitig als sozialer Unterstützer für ihren Hund fungieren. Dies wiederum kann zu einer positiven Modulation der Stressreaktion für beide Seiten führen.
Es gab einen positiven Zusammenhang zwischen dem HCC-Level der Hunde und den Werten sowohl für Offenheit als auch Gewissenhaftigkeit der Besitzer. Dabei handelte es sich um einen saisonalen Effekt: nur die Winterproben zeigten diese Ergebnisse.
Im Gegensatz zur Besitzerpersönlichkeit hatten die Persönlichkeitsmerkmale des Hundes nur geringe Auswirkungen auf das HCC-Level des Hundes.
Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass es eher die Hunde sind, die das Stresslevel ihrer Besitzer widerspiegeln und nicht umgekehrt.
Aus Sicht des Menschen ist der Hund ein wichtiger sozialer Unterstützer, hat positive Auswirkungen auf die Lernfähigkeit und mehrere positive gesundheitliche Aspekte. Aus Sicht des Hundes gibt es in der Tat auch mehrere positive Auswirkungen der Mensch-Hund-Interaktion, aber die Ergebnisse zeigen, dass wir mit unserem Stress-Level ihre Gesundheit gefährden könnten.
Quelle:
Sundman, AS., Van Poucke, E., Svensson Holm, AC. et al. 2019. Long-term stress levels are synchronized in dogs and their owners. In: Sci Rep 9,** **7391(2019). https://doi.org/10.1038/s41598-019-43851-x