Kooperations(un)fähigkeit

Was die Forschung dazu sagt

Wölfe leben in engen Familienverbänden, die bei der Jagd, Aufzucht der Welpen und Revierverteidigung stark auf Zusammenarbeit angewiesen sind. Eine verbreitete Hypothese ist, dass Hunde mit der Domestizierung ein zahmeres Temperament erworben haben, das im Vergleich zu ihren Wolfsverwandten eine erhöhte Toleranz und kooperative Neigung aufzeigt. Dieser „Domestizierungseffekt“ sollte eigentlich widerspiegeln, wie Menschen im Vergleich zu Schimpansen einen toleranteren und kooperativeren Charakter entwickelt haben. Basierend auf dieser Hypothese würden Hunde im Vergleich zu Wölfen eine höhere Kooperationsbereitschaft zeigen, nicht nur mit Menschen, sondern auch mit ihren Artgenossen.

Interessanterweise führten sozioökologische Forschungen zum gegenteiligen Ergebnis: Studien, die freilaufende Hunde (die 80 % der Welthundepopulation ausmachen) untersucht haben zeigen, dass, obwohl es zu Gruppenjagden kommen kann, die Nahrungssuche auf menschliche Abfälle meist einsam erfolgt. Es kommt auch nur sehr selten vor, dass mehrere Mütter sich um die Welpen kümmern. Tatsächlich scheint sich die Kooperationsbereitschaft bei freilebenden Hunden prinzipiell auf die Revierverteidigung zu beschränken.

Um herauszufinden, welche von diesen gegensätzlichen Hypothesen wahr ist, haben Sarah Marshall-Pescini und ihre Kollegen ähnlich aufgezogene, im Rudel lebende Wölfe und Hunde, die im Wolf Science Center in Wien untergebracht sind, im kooperativen Ziehparadigma-Experiment getestet.
In der Forschungsreihe konnten die Tiere nur dann die Nahrung erreichen, wenn sie an beiden Enden des gleichen Seils, gleichzeitig gezogen haben (wenn nur ein Tier am Seil zog, bewegte sich die Futterschale nicht). Die Hunde erreichten von 472 Versuchen zweimal das gewünschte Ergebnis, den Wölfen dagegen gelang es hundertmal von 416 Versuchen an die Nahrung heranzukommen.

📌 Dies widerlegte eindeutig die Theorie, dass die Domestizierung zu einer größeren Kooperationsfähigkeit bei den Hunden führte.

📌 Darüber hinaus bewies das Experiment auch, dass die Rangordnung der Wölfe ihre Zusammenarbeit auch beeinflusst: Wölfe, die an der Seil-Challenge mit einem gleichrangigen Familienmitglied teilnahmen, kooperierten viel besser und gelangen eindeutig früher ans Futter.
Hunde und Wölfe haben sehr unterschiedliche Verhaltensstrategien, wenn sie mit ihren eigenen Artgenossen sozial interagieren müssen:

📌 Bei den Hunden wurde beobachtet, dass sie dazu neigten, nicht gleichzeitig am Seil zu ziehen, als wollten sie Konflikte damit vermeiden. Die Hunde zeigten während des Experiments deutlich weniger Dominanzsignale und vermieden jede Situation, wo sie aggressiv agieren sollten. Sie hielten sich von ihren eigenen Familienmitgliedern fern und waren nicht in der Lage, ihre Aktionen gemeinsam zu koordinieren, selbst wenn es um Nahrungserwerb ging.

Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die innerartliche Kooperationsfähigkeit von Hunden sich in Folge der Domestizierung reduziert hat.
Diese Fähigkeit hat der Mensch den Hunden genommen, und stattdessen haben wir es erreicht, dass sie uns ihre ganze Aufmerksamkeit schenken. Nicht umsonst heißt der Hund – der besten Freund des Menschen.

Quelle:

Marshall-Pescini, S., Schwarz, J. F. L., Kostelnik, I., Virányi, Zs., Range F. 2017. Importance of a species’ socioecology: Wolves outperform dogs in a conspecific cooperation task. In: Proceedings of the National Academy of Sciences. 114(44) 11793-11798.

https://doi.org/10.1073/pnas.1709027114

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2024-10-21T12:58:03+02:00
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