Schwanzjagen – wenn’s ernst wird
Was die Forschung dazu sagt
Sich wiederholende Verhaltensstörungen (Handlungen oder Bewegungen, die der Situation nicht angepasst sind und ständig wiederholt werden), die häufig bei menschlichen neuropsychiatrischen Störungen wie Autismus und Zwangsstörungen (=Obsessive-Compulsive Disorder, OCD) beobachtet werden, kommen nicht nur bei Menschen, sondern bei mehreren Arten, einschließlich Hunden, vor. Es wurden mehrere Ähnlichkeiten zwischen zwanghaftem Verhalten bei Hunden und Menschen gefunden, was darauf hindeutet, dass sie möglicherweise eine gemeinsame/ähnliche neurobiologische Grundlage haben.
Viele Hunde zeigen spontane zwanghafte Verhaltensweisen, die häufig als Hunde-Zwangsstörung (=canine compulsive disorder, CCD) diagnostiziert werden und wiederholtes Kreislaufen, Schwanzjagen, Schatten- oder Lichtjagd, Einfrieren und Starren umfassen können.
Forscher an der Universität Helsinki in Finnland suchten nach möglichen Zusammenhängen zwischen zwanghaftem Schwanzjagen, Umweltfaktoren und der Persönlichkeit. Das Forscher-Team führte eine Fragebogenstudie mit den Besitzern von fast 400 Bullterriern, Miniatur-Bullterriern, Deutschen Schäferhunden und Staffordshire-Bullterriern durch. Dabei handelt es sich um jene Rassen, bei denen zwanghaftes Schwanzjagen am häufigsten vorkommt.
„Schwanzjäger” litten im Vergleich zu Hunden, die ihren Schwanz nicht jagten, mit größerer Wahrscheinlichkeit auch unter anderen zwanghaften Verhaltensweisen, einschließlich Einfrieren oder Trance-ähnlichem Verhalten. Das Team stellte die Hypothese auf, dass die tranceähnlichen, starrenden Episoden, die bei diesen Hunden beobachtet wurden, analog zu ähnlichen Verhaltensweisen bei Menschen mit Autismus-Spektrum-Störungen sein könnten.
Die Häufigkeit von Schwanzjagdverhalten zeigte eine große Variation, ähnlich wie bei Zwangsstörungen, bei denen die Symptome und das gleichzeitige Auftreten von zwanghaften Verhaltensweisen stark variieren.
Es wurde festgestellt, dass eine frühe Trennung von der Mutter und eine geringere mütterliche Fürsorge Hunde zum Schwanzjagen prädisponieren. Bei Menschen wurden Kindheitstraumata oder -stress mit OCD in Verbindung gebracht, was darauf hindeutet, dass zwanghaftes Verhalten von Hunden und Menschen ähnliche umweltbedingte Ursachen hat.
Die Wissenschaftler fanden auch einen Zusammenhang zwischen Schwanzjagen und der Persönlichkeit, insbesondere bei Rüden. Schwanzjäger waren im Allgemeinen schüchterner und weniger aggressiv gegenüber Menschen. Schüchternheit bei Hunden teilt Eigenschaften mit der Verhaltenshemmung (=behavioral inhibition), einem menschlichen Temperamentstil, der Zurückhaltung, Rückzug und Vermeidung neuer Erfahrungen beinhaltet und außerdem für viele OCD-Patienten charakteristisch ist.
Weiterhin wurde festgestellt, dass das Schwanzjagdverhalten mit der Nährstoffaufnahme der Hunde zusammenhängt: Hunde, die diätetische Vitamin- und Mineralergänzungen erhielten, hatten weniger zwanghafte Episoden im Vergleich zu den Hunden, die keine Ergänzungen erhielten. Interessanterweise wurden ähnliche vorläufige Beobachtungen bei menschlichen Zwangsstörungen gemacht. Insbesondere Vitamin B6 erwies sich vorteilhaft für die Hunde.
Die Studie deutet darauf hin, dass Hunde mit Zwangsstörungen ein hervorragendes Tiermodell für die Untersuchung des genetischen Hintergrunds und der Umweltfaktoren bieten, die mit menschlichem Zwangsverhalten bei Autismus und Zwangsstörungen verbunden sind.
Quelle:
Rosania, K. 2012. Watching dogs chase their tails to understand OCD. In: Lab Anim 41, 269(2012). https://doi.org/10.1038/laban1012-269a